Am Montag, den 23. Juli 1923, kamen im Gasthaus „Zum Hirsch“ in Naurod 14 junge Männer zusammen, beseelt von dem Gedanken, den Radsport zu betreiben und zu fördern, und gründeten den „Radfahrerverein Wanderlust 1923 Naurod“. Dieses Unternehmen darf man mit Recht als eine mutige Tat bezeichnen, denn zum einen bestand in Naurod bereits ein recht aktiver Radfahrverein, zum anderen waren die wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Lande nicht gerade rosig. Die Inflation strebte ihrem Höhepunkt zu.
Nach der Gründung des RV Wanderlust Naurod am 23. Juli 1923 gingen die meist noch recht jungen Mitglieder mit großem Eifer „an die Sache“. Bereits eine Woche später, am 3. August folgt eine weitere Mitgliederversammlung, in der die Satzung besprochen und der Vorstand erweitert wurde. Auch andere Probleme der Vereinsführung, durch die immer schneller werdende Geldentwertung verursacht, mussten beraten werden. Die jungen Männer wollten aber auch möglichst schnell zu sportlichen Aktivitäten kommen. So fanden allein im August 1923 drei Mitgliederversammlungen und eine Vorstandssitzung statt. Es fällt auf, daß diese Zusammenkünfte selten vor 22 Uhr begannen und erst nach Mitternacht endeten. Der Grund ist verständlich: Die meisten Mitglieder waren, oft neben ihrem Beruf, in der Landwirtschaft tätig. Und da wurde im Sommer gewöhnlich bis zum Einbruch der Dunkelheit gearbeitet.
Bereits in der ersten Versammlung wurde der Beitrag auf monatlich 10.000 Mark festgesetzt. Weil aber abzusehen war, daß im nächsten Monat dieser Betrag bedeutungslos war, einigte man sich auf den jeweiligen Wert eines Hühnereies.
Ähnlich verfuhr man bei den Verhandlungen über die Saalmiete im Saalbau „Zum Taunus“. Der Besitzer hatte pro Abend 20.000 Mark verlangt. Auch hier einigte man sich auf den jeweiligen Wert eines Hühnereies. Für das „Saalfahren“ wurden zwei Mannschaften eingeteilt, ebenso für das am 2.September 1923 geplante Radrennen. Zuvor wurde aber bereits am 5. August 1923 eine Fuchsschwanzjagd veranstaltet. Oswald Müller war als Fuchs ausgelost worden. Er startete um 13 Uhr, die Jäger 20 Minuten später. Der Fuchs durfte sich nicht über den Bereich Bierstadt, Erbenheim, Nordenstadt und Medenbach hinausbegeben. Wer ihn letztlich gefangen hat, ist nicht überliefert. Nur, daß sich alle nach Abschluss der Jagd in Medenbach, in einem bekannten Lokal, der „schwarzen Kathrin“, getroffen haben.
Am 2. September 1923 startete um 6.30 Uhr das erste Radrennen. Die Rennstrecke von ca. 16 Kilometer führte von Naurod über Wildsachsen , Medenbach und Auringen wieder nach Naurod zurück. Am Start waren neun Fahrer, eingeteilt in zwei Mannschaften; es wurde jedoch ausdrücklich Einzelwertung festgelegt. Als Preise kaufte der Verein sieben Urkunden für den Gesamtpreis von über 1,05 Millionen Mark. Dafür mussten die Fahrer aber auch ein Startgeld von 1,1 Millionen Mark entrichten.
Trotz dieser finanziellen Schwierigkeiten wurde das Reigenfahren aufgenommen und am 22. September 1923 eine Wanderfahrt durchgeführt. Für alle diese sportlichen Aktivitäten konnten nur normale Fahrräder benutzt werden, die je nach Sportart umgerüstet wurden. Als nächstes war das Gründungsfest geplant und als Termin der 18. November 1923 festgelegt worden. Bei dieser Gelegenheit sollte eine weitere Radsportdisziplin, das Langsamfahren, durchgeführt werden. Die Währungsumstellung vom 15.November 1923 machte jedoch alle Vorhaben zunichte. In der ersten Jahreshauptversammlung am 23. November 1923 wurde der Vorstand nur in einer Position verändert. Ferdinand Raab löste Rudolf Raab als Schriftführer ab.
Der Vorstand setzte sich nun wie folgt zusammen:
1. Vorsitzender Karl Nickel
2. Vorsitzender Oswald Müller
Kassierer Willi Beltz
Schriftführer Ferdinand Raab
1. Fahrwart Ernst Becht
2. Fahrwart Rudolf Beltz
Beisitzer Adolf Damm und Rudolf Raab
In den ersten vier Monaten seit der Gründung hatten sich acht weitere Mitglieder dem Verein angeschlossen. Das bescheiden aber exakt geführte Kassenbuch zeigt deutlich die finanzielle Situation im Gründungsjahr. An einigen Beispielen lässt sich dies besonders dokumentieren. Am 2. September betrug das Eintrittsgeld für ein Mitglied 7.000 Mark, am 25. September schon eine Million und am 20. Oktober eine Milliarde Mark. Das Lichtgeld im Saalbau „Zum Taunus“ lag im September bei 64 Millionen Mark und im Oktober bei 15,5 Milliarden Mark. Der erste Vereinsstempel kostete 20.000 Mark.
Der Kassenabschluss 1923 zeigt Einnahmen von rd. 28 Billionen Mark und Ausgaben von rd. 15,5 Billionen Mark. Von dem Überschuss von rd. 12,5 Billionen Mark verblieben dem Verein nach der Währungsumstellung noch 3 Pfennige. Damit begann im Jahr 1924 ein neuer Anfang in der Vereinsgeschichte.
Das für November 1923 vorgesehene Gründungsfest musste wegen der Geldentwertung auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Stattdessen fand am Samstag, dem 24. September 1924 ein „Saalsportfest“ statt. Die Veranstaltung begann bereits nachmittags um 16 Uhr mit Tanz. Anschließend folgten sportliche Darbietungen und die Laienspieler des Vereins zeigten mit der Aufführung von zwei Theaterstücken ihr Können. Die Veranstaltung soll auch von auswärtigen Vereinen sehr gut besucht gewesen sein. In den folgenden Monaten mussten sich die Verantwortlichen, neben der allgemeinen Vereinsarbeit, intensiv mit der Planung des Gründungsfestes beschäftigen. Als neuer Termin waren der 9. und 10. August 1924 vorgesehen. Die Vereinsunterlagen berichten recht genau über die Probleme bei der Vorbereitung. So mussten sich die Mitglieder mehrmals mit der Anschaffung, der Bearbeitung und der Verlegung des Tanzbodens auf dem Festplatz in der heutigen Laurentiusstraße beschäftigen. Dann war es endlich soweit. Am Samstag, dem 9. August 1924 fand im Festzelt der obligatorische Kommers statt. Der Schriftführer vermerkte, daß die Besucher einen „genussreichen Abend“ verlebt hätten. Am nächsten Tag starteten bereits um 6 Uhr die Rennfahrer zu einer Rundfahrt über ca. 50 Kilometer. Die Strecke führte von Naurod über Niedernhausen, Eppstein, Lorsbach, Eddersheim, Erbenheim, Bierstadt, Kloppenheim und Auringen wieder zum Ausgangspunkt zurück. Am Ziel in der Auringer Straße wurden die Teilnehmer mit Musik empfangen. Nur, wer als Sieger aus diesem Rennen hervorging, wird in der Vereinschronik nicht berichtet. Dann ging es gemeinsam zum Frühschoppen ins Festzelt. Um 14.30 Uhr startete der Festzug, verbunden mit einem Korsowettbewerb durch die Ortsstraßen. Mit dem anschließenden „Ball“ (Tanzmusik) endete das Fest um 3 Uhr morgens. Für die damalige Zeit war diese Veranstaltung für die Bevölkerung sicher ein Ereignis, das für Abwechslung aus dem Alltag gesorgt hatte. Für den Verein hatte es ein unliebsames Nachspiel. Die finanziellen Erwartungen waren nicht erreicht worden. Die bereits angekauften „Saalmaschinen“ mussten über „Anteilscheine“ und über einen Sonderbeitrag der Mitglieder finanziert werden. Der 1. Vorsitzende trat daraufhin von seinem Amt (freiwillig oder zwangsweise?) zurück.
Bis zur Neuwahl in der folgenden Jahreshauptversammlung am 15. Dezember 1924 wurde der Verein vom 2. Vorsitzenden Oswald Müller geführt. Die sportlichen Tätigkeiten hatten darunter jedoch nicht gelitten. Rennfahren, Wanderfahren und besonders das Langsamfahren waren damals die dominierenden Disziplinen. Nach einem Wettbewerb im Langsamfahren über 200 m, den Willi Sand gewann, wurde ein „Ermunterungsfahren“ als Mannschaftsfahren durchgeführt. Wilhelm Beltz gewann in der ersten Mannschaft, während Rudolf Reitz in der zweiten Mannschaft erfolgreich war. Damals wurden ausschließlich Gebrauchsgegenstände als Preise vergeben. Die jungen Sportler freuten sich bestimmt über einen Fahrradschlauch, über eine Luftpumpe oder einfach über eine Blumenvase. Gegen Ende des Jahres 1924 wurde die erste Vereinssatzung beschlossen und die ersten Vereinsabzeichen angeschafft.